Die solare Forschungswende in Deutschland

Interview mit Gerd Stadermann, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2021

Gerd Stadermann hat mit seinem Buch: „Das Notwendige möglich machen. Die solare Forschungswende in Deutschland“ ein Standard- und Nachschlagewerk besonderer Art vorgelegt. Er selbst nennt es ein Gemeinschaftswerk, entstanden aus vielen Gesprächen und Diskussionen sowie Interviews mit Wissenschaftlern, Politikern, Wirtschaftsvertretern und verantwortlichen Akteuren aus Ministerialbürokratien, ergänzt um eine Chronologie des zeitlichen Geschehens, der politi- schen Programmentwicklung, der Einrichtung von Institutionen sowie um das Aufzeigen der Vorgeschichte vom Umbau der Wissenschaft und dem Aufbau ihrer Institute auf dem Gebiet der solaren Forschungswende.

Die Welt hat sich in den letzten 200 Jahren gravierend verändert. Technische Möglichkeiten führten zur Industriellen Revolution mit ihren positiven und negativen Folgen. Diese rasante Wohlstandsentwicklung geht jedoch mit einer steigenden Umweltzerstörung Hand in Hand. Energieverbrauch und Wohlstand bedingen einander. Im Mittelpunkt steht dabei bis heute die Frage der Energieversorgung und aus welchen „Quellen“ sie sich speist. Solange dieser Verbrauch auf der Verwendung atomar fossiler Ressourcen beruht, sind die negativen Folgen als Gesundheits- und Klimafolgen weltweit spürbar mit steigender Dramatik. Ein neues Bewusstsein der heute lebenden Menschen erwartet von der Wissenschaft eine Forschung, die sich diesen Fragen stellt und Lösungsansätze aufzeigt und von ihren Regierungen schnelles adäquates politisches Handeln. Das Buch ist eine spannende Auflistung der politischen Forschungs- und Wissenschaftsentwicklung in Deutschland. Es werden Personen und Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft benannt, von denen Entscheidungen und bedeutende Initiativen ausgingen.

Als Start der „Zeitenwende“ wird in dem Buch die Energiediskussion von der militärischen – zur friedlichen Nutzung der Atomenergie ausgewiesen – beginnend mit dem Appell amerikanischer Wissenschaftler 1957 bis zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Mit seinem Buch „Leben oder Tod im Atomzeitalter“ war der Nobelpreisträger Linus Pauling einer der Ersten, der sich grundsätzlich auch gegen Atomkraftwerke aussprach. Mit der Entdeckung der Kernspaltung und Entwicklung der Atombombe habe Forschung und Entwicklung in den Naturwissenschaften ihre Unschuld verloren und er zitiert den Beitrag des amerikanischen Biologen Paul Ehrlich von 1970: „Wir sind dabei den Planeten zu ermorden“. Auf Betreiben von Willy Brandt wurde 1969 im Bundesministerium des Inneren (BMdI) als erste Institutionalisierung eine Abteilung für Umweltpolitik geschaffen und 1971 das erste Umweltprogramm beschlossen. Zitat aus der Rede auf der 22. Tagung der Nobelpreisträger von Willy Brandt 1972: „Die Auswirkungen und Umweltschädigungen erscheinen (…) nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich verschoben, sodass eine erhebliche Zeitspanne zwischen der Verursachung und der schädlichen Wirkung liegen kann. (…)

Es geht meine Damen und Herren, um nicht weniger als darum, den Zusammenbruch unseres ökologischen Systems zu verhindern. (…) Wir werden unseren Scharfsinn in steigendem Maße darauf verwenden müssen, wie wir von einer bloßen Wachstumsmaximierung zu einer ausgewogenen Wachstumsoptimierung gelangen können. Oder, mit anderen Worten, zu besseren Lebensbedingungen.“ Die Dringlichkeit der Umweltpolitik war in der Politik so Stadermann angekommen. In der SPD dokumentierte sich dies im Wahlprogramm 1983 mit dem „Konzept des Friedens mit der Natur“.

In der Politik wurden die Warnungen gehört. Es stellte sich daher nach Stadermann die Frage der „Mit-Verantwortung der Wissenschaft“. „Die herrschende Wissenschaft bietet ein Übermaß an Zerstörungswissen und einen Mangel an Erhaltungswissen“, so die Kritik des Wissenschaftlers und Politikers Meyer-Abich an den damals herrschenden Leitbildern. Es folgt die ausführliche Beschreibung der solaren Forschungswende mit einer neuen „Denk- und Wissenschaftskultur“ der Personen und Institutionen, die maßgeblich beteiligt waren aber auch der unsicheren politischen Voraussetzungen und Widerstände, die vieles Nötige unmöglich machten.

Gerd Stadermann

SOLARZEITALTER: Sie dokumentieren neben der politischen Wende in den USA in den 70er Jahren die Entwicklung in Deutschland wie die der politischen Initiativen besonders der SPD mit Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Erhardt Eppler (dessen Buch „Ende oder Wende – von der Machbarkeit des Notwendigen“, 1975) als frühe Mahner; das erste Umweltprogramm 1971 der SPD sowie die parlamentarische Initiative von Hermann Scheer zum 100 000 PV-Dächer-Programm und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Allerdings konstatieren Sie auch: In Anbetracht dieser Erfolge sei es unverständlich, dass die Politik der Partei nicht „grüner“ geworden sei – stattdessen gründete sich eine eigene Partei. Wie beurteilen Sie diese Frage heute?

Gerd Stadermann: Klaus Michael Meyer-Abich, der mit seinem Konzept vom Frieden mit der Natur auf dem Dortmunder SPD-Parteitag 1983 eine hundertprozentige Zustimmung erhielt, sah voraus, dass die Probleme mit unserer Mitwelt nicht nur zur Zerstörung der Natur, sondern auch von uns selbst führen werde und dass die bisherige Umweltpolitik zur Zerstörung der Industriegesellschaft führen werde, wobei die Betonung auf Gesellschaft lag. Diese Gefahr und die mit ihr verbundenen existentiellen Fragen haben zur Gründung der Grünen Partei geführt. Die Umweltbewegung der 1970er Jahre hatte aber die Zerrissenheit der SPD zwischen Umweltbewusstsein (Eppler-Flügel) und Befürwortung der Atomenergie (SPD-Wirtschaftsprogramm) nicht ausreichend wahrgenommen. So wohnte der Gründung der Grünen Partei eine gewisse Tragik inne, denn große Teile der „grünen“ Mitglieder waren Fleisch vom Fleische der SPD. Ich sehe vom heutigen Standpunkt aus bei der damaligen SPD zwei Probleme: Erstens hatte sie sich mit dem Godesberger Programm richtigerweise zu Freiheit und Demokratie, aber auch zu einem liberalen – sprich kapitalistischen Wirtschaftssystem – bekannt, wenn auch mit dem fernen Ziel, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Das zweite Problem war eine SPD-Führung, die nach der Ära Willy Brandt den Kontakt zur breiten Masse ihrer Mitglieder verlor. Die Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung hatten nämlich großen Rückhalt in der SPD gewonnen. Doch insbesondere Kanzler Helmut Schmidt hielt auch nach der großen Demonstration im Bonner Hofgarten 1981 sowohl am Doppelbeschluss der NATO fest, als auch am Ausbauprogramm der Atomenergie, obwohl die Enquetekommission „Zukunft der Kernenergiepolitik“ des Bundestages 1980 Wege in die Nutzung der Sonnenenergie empfohlen hatte. Man muss natürlich einräumen, dass es für die SPD als Volkspartei schwierig war, alle Strömungen in ihrem Inneren politisch zu einen. Die Grünen fokussierten sich dagegen auf Umweltprobleme und die Gegnerschaft zu Atomkraftwerken und übten vor diesem Hintergrund grundsätzliche Kritik am Wirtschaftssystem, insbesondere durch den linken antikapitalistischen Flügel der ehemaligen K-Gruppen. Erst durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 gab es hinsichtlich der Atomenergie das große Umdenken in der Führungsetage der SPD.

SOLARZEITALTER: Unter der Überschrift: „Am Scheideweg: Atom- oder Sonnenenergie“ listen Sie von 1977–1986 die politisch wesentlichen Initiativen und Rahmenbedingungen zur Energiewende auf: Robert Jungk „Der Atomstaat. Fortschritt in die Unmenschlichkeit“, die Energiepolitische Wende in der SPD 1977, die Berufung von Enquetekommissionen sowie den Beteiligten und ihrer erfolgreichen Arbeit.

Die Ergebnisse begründeten in ihren Worten: „Weichenstellungen ins Solarzeitalter“. Besonders nach dem GAU in Tschernobyl schwand die Akzeptanz der Atomenergie in der Gesellschaft und die SPD beschloss 1986 die „Änderung des Atomgesetzes mit dem Ziel der Stilllegung aller Atomkraftwerke; Untersagung der Erteilung von Bau- und Betriebsgenehmigungen für weitere Atomkraftwerke sowie Ablehnung der Wiederaufarbeitung, Verzicht auf wirtschaftliche Nutzung von Plutonium und Unterbindung des Exports von Kernkraftwerken aus der Bundesrepublik.“ Damit waren in wesentlichen Teilen der verantwortlichen Politik Vorgaben und Ziele gesteckt. Trotzdem folgten weitere Blockaden der Energiewende. Welche Blockaden sehen Sie als entscheidend in dieser Zeit?

Gerd Stadermann

Gerd Stadermann: Die wichtigste Blockade war eine tiefsitzende geistige: Obwohl 1972 von Dennis und Donella Meadows in ihrem Buch „Grenzen des Wachstums“ angesprochen, hat die Politik die Wirkung der Kohlendioxid-Emissionen auf das globale Klima lange unterschätzt bzw. nicht zur Kenntnis genommen. Dies galt leider auch für viele Wissenschaftler. Auch schien den meisten Menschen völlig unklar, wie solare Energiequellen genügend Strom und Wärme zur Verfügung stellen könnten, um eine Industriegesellschaft am Laufen zu halten. Erst die Ergebnisse der Enquetekommission des BT Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre von 1987 und der Weltklimakonferenz in Toronto 1988 haben die wissenschaftliche Welt und die Parteien in Deutschland ein wenig wachgerüttelt. Ein Erfolg war z. B. das erste Stromeinspeisegesetz von 1990, dass 10 Jahre später zum EEG weiterentwickelt wurde.

Die zweite Blockade gegen eine frühere Energiewende wurde von der SPD-Führung unter Helmut Schmidt verursacht. 1975 hatte Erhard Eppler das Buch „Ende oder Wende – von der Machbarkeit des Notwendigen“ geschrieben und sich als ein „grüner“ Vordenker in der SPD erwiesen. Doch Helmut Schmidt lag mit Eppler quer und wies seine „grünen“ Visionen zurück. Auch die Ergebnisse der Enquetekommission „Zukunft der Kernenergiepolitik“ von 1980 akzeptierte er wie schon erwähnt nicht. Damals standen Energieeinsparung und -effizienz im Vordergrund der Energie­po­litik, mit denen man Atomkraftwerke vollständig hätte ersetzen können. Mit anderen Worten, diese zweite Blockade bestand vor allem am Festhalten der Nutzung der Atomenergie. Gegen subventionierten und dadurch billigen Atomstrom konnten solare Energien nur wenig ausrichten – ihr Ausbau verzögerte sich.

Die dritte Blockade bildete die Energiepolitik der CDU/CSU/FDP-Koalitionsregierung, die nicht nur die Ergebnisse der Enquetekommission ignorierte, sondern nach der Machtübernahme 1982 die Förderung der Erneuerbaren Energien und ihre Erforschung und Entwicklung zusammenstrich und das Atomprogramm weiterführte. So wurde sowohl der Schnelle Brüter in Kalkar als auch das Atomkraftwerk Brokdorf 1986 ungerührt weitergebaut und in Betrieb genommen.

Aber generell zu Blockaden: Nachdem es nach Tschernobyl zur energiepolitischen Zeitwende in der BRD kam, kann man m. E. von diesem Zeitpunkt an von aktiven politischen Blockaden nicht mehr sprechen – eher von gezielten Verzögerungen durch die konservativen Regierungen, die bis heute anhalten. So z. B. die Reduktion der Förderungen in den Jahren 1993/94 durch das BMBF oder später in den Jahren nach 2009 bis 2013 durch das FDP-geführte BMWi, das den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv verlangsamte.

SOLARZEITALTER 2-2021

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 2-2021 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

Weitere Informationen

SOLARZEITALTER: Wie sich politische Rahmenbedingungen und Bürgerengagement in Umbruchszeiten hemmend oder befördernd auswirken stellen die Regierungswechsel dar. Wie die Wissenschaft davon beeinflusst wurde umfasst den Hauptteil Ihres Buches. Dass Deutschland heute in der Solarenergieforschung zur Nutzung Erneuerbarer Energien ganz weit vorn ist, sei kein Selbstläufer gewesen, sagen Sie. Mutige Vordenkerinnen und Vorreiter hätten diese Entwicklung über Jahrzehnte geprägt und dabei vielen Widerständen getrotzt. Welche Ereignisse würden Sie in diesem Sinne gern hervorheben?

Gerd Stadermann:  Hervorheben möchte ich die Gründungen der Solarenergieforschungsinstitute, in denen es möglich wurde, Solarenergieforschung ohne Wenn und Aber zu betreiben, insbesondere ohne Rücksicht auf Atomenergieforschung nehmen zu müssen. Diese Gründungsinitiativen stießen auf politische Widerstände und Verzögerungen, die sich oft über Jahre hinzogen. Doch die mutigen Protagonisten blieben unbeirrt und setzten sich gegen Vorurteile und oft blankes Unverständnis durch. Um ein Beispiel zu nennen: Die Gründung des ISFH in Hameln ist vor allem der Hilfe von Prof. Eduard Pestel, einem Gründer des Club of Rome 1968 und ehemaligen Wirtschaftsminister in Niedersachsen, zu verdanken. Ganz besonders möchte ich auf die Umweltbewegung in der Bundesrepublik verweisen, allen voran auf den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), der durch seine Kritik und Proteste 1973 im Haus der Pressekonferenz in Bonn das erste Energieforschungsprogramm der BRD überhaupt angestoßen hat. Und ich möchte betonen, dass es immer wieder Initiativen der Umwelt-, der Anti-Atom- und Friedensbewegung waren, die die Politik am „Einschlafen“ hinderte. Protagonisten, die sich für die Erneuerbaren stark machten, waren erfreulicherweise aber in allen Parteien, Verbänden, Organisationen und politischen Institutionen zu finden: Beamte in den Ministerien, Parlamentarier, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler und Journalisten

Dadurch konnte die Kontinuität des Ausbaus und der Forschung gewahrt werden – das ist nicht wenig, wenn man sich international umschaut. In diesem Zusammenhang sind auch die Referatsleiter im BMBF zu würdigen, die die Forschung und Entwicklung von Technologien Erneuerbarer Energien förderten. Sie engagierten sich für ihre Forscherklientel und gingen auch Streit mit ihren Vorgesetzten nicht aus dem Wege! Und doch muss man auf zwei schreckliche Ereignisse verweisen, die die Politik zu verstärktem Handeln antrieb: Das sind die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima. Sie zeigten die ganze Unsicherheit der Atomtechnik, die keine Zukunftsoption mehr sein kann. Sie waren in ihren fürchterlichen Wirkungen ein „Glück“ für die Erneuerbaren. Prof. Goetzberger vom Fraunhofer Institut in Freiburg sagte dazu, dass man so einen Gedanken eigentlich gar nicht haben dürfte, geschweige denn ihn auszusprechen. Dennoch ist es eine grausame Wahrheit, dass erst die Zerstörungen und das Leid der Menschen die Politik bewegte, aus der Atomtechnik auszusteigen, die Erneuerbaren Energien endlich kräftig zu fördern und ihren Ausbau voranzutreiben.

SOLARZEITALTER: Die Grundlagenforschung für die Solarenergie ist eng verknüpft mit dem Hahn-Meitner-Institut in Berlin und weiterer Forschungseinrichtungen, die ihre Arbeit in diese Richtung aufnahmen. Neue Institute wurden gegründet. Von 1970 bis 1993 stellen Sie diese Entwicklung dar. Dabei benennen Sie Oldenburg als die universitäre Keimzelle für eine solare Energieversorgung, verlieren dabei auch nicht die politischen Ereignisse aus dem Blickfeld. An welche Entwicklung politischer wie wissenschaftlicher Art verbunden mit welchen Persönlichkeiten denken Sie dabei?

Gerd Stadermann: Die Solarenergieforschung im HMI und an der Universität Oldenburg begann etwa zur selben Zeit (1979). Im HMI auf dem Gebiet der Grundlagenforschung, in Oldenburg auf dem Gebiet der angewandten Forschung. In der Grundlagenforschung des HMI vollzog sich die Entwicklung hin zu solaren Forschungsthemen evolutionär, so wie Sven Tode in seiner Chronik schrieb, dass die politische und ökologische Krise der Atomwirtschaft auf wissenschaftlicher Ebene zur Suche nach Alternativen führte. Das HMI gehörte rasch zu den Pionieren der Solarenergieforschung. Der damalige Wissenschaftliche Geschäftsführer, Prof. Wolfgang Levi, hatte bereits 1977 den möglichen Klimawandel durch die CO2-Emissionen erkannt und warb zunächst für die verstärkte Nutzung CO2-freier Atomenergie. Nach dem Reaktorunfall in Harrisburg (USA) 1979 und nach der Enquetekommission des Bundestages 1980 setzte er sich für Solarenergieforschung ein und berief Prof. Helmut Tributsch ans HMI, einen der renommiertesten Wissenschaftler der Physikalischen Chemie, der zuvor die Farbstoffsolarzelle entwickelt hatte. 1988 gründete Hermann Scheer zusammen mit Tributsch und vielen anderen die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien (EUROSOLAR) und entwickelte Konzeptionen zu ihrer Verbreitung. An der Universität Oldenburg bauten Prof. Joachim Luther und Hansjörg Gabler 1979–1982 das Energielabor auf – ein Gebäude, dessen Energieversorgung autark durch erneuerbaren Strom und Wärme versorgt wurde.

Durch den Brandt-Report (Nord-Süd-Bericht), der sich für die Nutzung der Sonnenenergie-aussprach. Insbesondere die Enquetekommission des Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“, die 1987 auf Klimaprobleme hinwies, die dringend gelöst werden müssten. Der Bundespräsident Richard von Weizsäcker übernahm die Schirmherrschaft über die Veranstaltung und ergriff anschließend die Initiative zur Gründung des Forschungsverbunds Sonnenenergie, um Forschung und Entwicklung von Solartechniken zu beschleunigen.

SOLARZEITALTER: Der Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Politik stand nicht nur Pate bei der Gründung von EUROSOLAR oder der DGS, auch weitere Nichtregierungsorganisationen wurden „Vermittler“. In ihren Forderungen an Wissenschaft und Politik steht nicht die „Anklage“, sondern eher Zielformulierungen und Wege ihrer politischen Umsetzbarkeit im Vordergrund. Welche Bedeutung messen Sie diesen von Bürgern getragenen Organisationen bei – beginnend mit der Antiatomkraft- bis zur heutigen Jugendbewegung?

Gerd Stadermann:  Die Bedeutung von Nicht-Regierungsorganisationen im Umwelt-, Anti-Atomenergiebereich sowie im Solarenergiebereich und heute der Klimabewegung kann kaum überschätzt werden. Die NGOs waren und sind der Basso-Continuo – das Fundament, auf dessen Grundlage sich Wissenschaft und Forschung, der Ausbau der Erneuerbaren und eine nachhaltige Energiepolitik entfalten konnte. Wie erwähnt geht z. B. der Anstoß, ein Energieforschungsprogramm in der Bundesrepublik zu entwickeln, das sich nicht nur mit Atomenergie befasst, auf eine Protestkampagne des BBU im Jahr 1973 zurück. Die ISES – International Solar Energy Society, die schon 1954 gegründet wurde – veranstaltete Weltkongresse, aus der 1976 die DGS zunächst als deutsche Sektion hervorging. Die Gründung von EUROSOLAR ergriff vor allem politische Initiativen auch im europäischen Ausland, um Denkblockaden zu beseitigen und das Wissen über die Einsatzmöglichkeiten Erneuerbarer Energien im Handwerk, in Haushalten und in Firmen zu verbreiten. Das Entscheidende der Bürgerenergiebewegung ist ja die Entstehung neuer Fragestellungen in Wissenschaft und Forschung sowie für die Entwicklung neuer Technologien durch die Nutzung und den Einsatz der solaren und Erneuerbaren Energien. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, Techniken zu entwickeln, sondern auch darauf, wie sie zu handhaben sind, wer sie nutzen kann und was sie kosten dürfen. Die Bürgerorganisationen erwiesen sich als starkes Bindeglied zwischen der weltweiten Energiebewegung und der Politik. Wissenschaft und Forschung können nämlich kaum Druck auf die Politik entwickeln, die NGO schon. Dies ist besonders durch die Erfolge der Fridays For Future – Klimabewegung sehr deutlich geworden.

SOLARZEITALTER: In Ihren Schlussfolgerungen überschreiben Sie ein Kapitel „Das Revolutionäre der erneuerbaren Energien“, verweisen auf Edmond Becquerel mit seinen Entdeckungen schon 1839 oder auf Wilhelm Ostwald über die Nutzung der Sonnenenergie 1911. Nach der Weltklimakonferenz in Rio 1992 forderte

Hermann Scheer in seinem Buch: „Sonnenstrategie – Politik ohne Alternative“ – von der „Agenda 21“ zur „Agenda 1“ und EUROSOLAR richtete die Forderung an den IPCC die Energiesystemwende zu 100 % mit Erneuerbaren Energien zu verfolgen. Doch in der Wissenschaft und Politik sind Berechnungen von Zielen und sogenannte „marktwirtschaftliche“ Anreize wie der Emissionshandel beliebter. Die Wissenschaftler des aktuellen IPCC-Berichts müssen ihre Annahmen über die Dramatik der Erderwärmung korrigieren. Klimaabkommen verfehlen ihre Ziele. Wurde die Notwendigkeit der Energiesystemwende von den Atomar-fossilen zu den Erneuerbaren zu 100 % auch von der Wissenschaft zu lange unterschätzt?

Gerd Stadermann:  Ja, wobei ich sagen muss, dass sich die Wissenschaft von den fossilen Energien schon längst verabschiedet hat. Denn die fossilen Ressourcen galten ja bereits seit den 1970er Jahren als begrenzt. Aber auf dem „nuklearen Auge“ war die Wissenschaft lange Zeit blind. Für Atomkraftwerke galt der Rohstoff Uran als unbegrenzt vorrätig. Mit der Schnellen Brütertechnologie sollte das Atomzeitalter sogar mehr als 1000 Jahre aufrechterhalten werden können! Viele Wissenschaftler, auch in der solaren Community, waren keine generellen Gegner von Atomkraftwerken. Sie sorgten sich nicht um die technische Sicherheit der AKW – sie galt ihnen als grundsätzlich machbar. Vielmehr sorgten sie sich um die Einhaltung des Proliferationsverbots, also die Einhaltung der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Wie wir wissen, wurde das Proliferationsverbot zu oft nicht eingehalten, sodass wir heute eine wachsende Anzahl von nuklear bewaffneten Staaten haben. Für die Klimawissenschaftler des IPCC galten Atomkraftwerke lange Zeit als wichtigste Alternative zur Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Auch Solarenergie und Atomenergie galten in ihren Augen als vereinbar – seien beide doch CO2-freie Stromerzeugungsmöglichkeiten (was bei Atomkraftwerken nicht wirklich stimmt). Zu diesem Kinderglauben habe ich einiges in meinem Buch geschrieben, das ich hier nicht wiederholen muss. Natürlich sind die CO2-Emissionen der Kohle, des Erdöls und des Erdgases um ein Vielfaches schädlicher als ein „normal“ funktionierendes Atomkraftwerk. Sie stehen daher verständlicherweise im Vordergrund der Handlungsempfehlungen des IPCC an die Regierungen und Politiker der Welt, die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Doch es spricht sich auch unter den Klimawissenschaftlern herum, dass Atomkraftwerke nicht klimaneutral sind: Atomkraftwerke tragen zur Erderwärmung bei. Zwar sind sie im Betrieb frei von CO2-Emissionen, aber jeder Verbrennungsprozess setzt zusätzliche Wärme auf der Erdoberfläche frei. Die riesigen Kühltürme der Atomkraftwerke führen uns vor Augen, wohin die Wärme geht – in die Atmosphäre, in Flüsse und Seen.

Diese nuklear erzeugte Wärme kann nur dann in den Weltraum abgestrahlt werden, wenn sich die Temperatur der Biosphäre um diese Wärmemenge zusätzlich erhöht. Darüber haben die Klimaforscher des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), kurz „Weltklimarat“ genannt, aber nie gesprochen, weil die zusätzliche Abwärme aus Atom- und Kohlekraftwerken gegenwärtig global nur 1 % zum Klimawandel beiträgt. Doch spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um darauf hinzuweisen, dass es kein Zurück mehr gibt: Einzig und allein die solare Strahlungsenergie, die auf die Erde trifft und dem Leben auf unserem Planeten dient, sowie zu einem kleinen Teil der Nutzung erneuerbarer Energien durch den Menschen, ist klimaverträglich. Warum? Weil sie bilanziell und damit vollständig wieder abgestrahlt wird. Die Erde heizt sich normalerweise von selbst nicht auf! Mit anderen Worten: Jegliche durch Verbrennung fossiler Vorräte sowie durch Atomspaltung oder eines Tages vielleicht durch Kernfusionskraftwerke freigesetzte Wärme muss in den Weltraum abgegeben werden. Solange der Anteil klein ist, verglichen mit der Wärmezufuhr der Sonne, hat das nur einen geringen Einfluss auf die Erdtemperatur. Wenn allerdings künftig 10 Milliarden Menschen auf der Erde für einen höheren Lebensstandard die Freisetzung großer Wärmemengen verursachen sollten, dann würde die Erdtemperatur – auch ohne klimaschädliche Treibhausgase – deutlich steigen. Mit entsprechenden Konsequenzen: In industriellen Ballungsgebieten steigt die Temperatur der Umweltatmosphäre schon heute über mehr als 2°C. Eine Rückkehr der Energiewende zur Atomkraft, oder schlimmer noch die Entwicklung von Kernfusionsreaktoren, löst daher die Klimaprobleme der Menschheit nicht. Als klimaneutrale Alternative bieten sich nur die Erneuerbaren Energien an.

SOLARZEITALTER: Herr Stadermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Irm Scheer-Pontenagel, Herausgeberin SOLARZEITALTER.

Dr. Gerd Stadermann studierte Kristallographie an der Humboldt-Universität Berlin.
Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) und Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Als Geschäftsführungsassistent für Sonnenenergie am Hahn-Meitner-Institut (HMI) und Geschäftsführer des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE) sammelte er über viele Jahre Erfahrungen mit Vorhaben der Solarenergieforschung.