Claus P. Baumeister: Energiepolitische Beobachtungen und praktische Hinweise zum Jahresende

Liebe Freunde,

Zwei Themen beschäftigen mich noch zum Jahresabschluss:

1. Buzzwords vom „(Doppel-)Wumms“ über „Entlastungen“ und „Preisbremsen“ zum „Fachkräfte(mangel)“

Zum „Doppel-Wumms“ und Hype um „Entlastungen“ mittels kontraproduktiver und unfair verteilter Energiepreisbremsen/-deckel hatte ich mich schon hinreichend geäußert. Nun nerven die Industrieverbände mal wieder mit dem vermeintlichen „Fachkräftemangel“ und stoßen, wie so oft bei einflussreichen Lobbyisten, auf das Wohlwollen der Ampelregierung, aktuell verbunden mit der Zuwanderungs- bzw. Einbürgerungsdiskussion.

Insbesondere die Energiewende und damit der Klimaschutz würden durch den Fachkräftemangel ausgebremst, wird gebetsmühlenartig behauptet. Dabei wirkt die auch unter der Ampel nach wie vor wuchernde Bürokratie als dominierender Verhinderungsfaktor, der problemlos und kostenlos zu beseitigen anstatt durch immer mehr Gesetze zu eskalieren wäre. Dazu gesellt sich inzwischen der zur Zeit allgegenwärtige Preisanstieg und die leider wachsende Goldgräbermentalität der Installationsfirmen mit schlampigen Angeboten und Planungen sowie überteuerten Standardinstallationen.

Nun ja, der Fachkräftemangel ist keine Fiktion, sondern in der Tat ein Problem der Wirtschaft. Aber abgesehen vom demographischen Wandel ist dieser auch zu einem guten Teil hausgemacht. Man könnte vielleicht auf die Idee kommen, dass wir falsch ausbilden, also – provokativ ausgedrückt – zu viele akademisch gebildete Geistarbeiter produzieren, und junge Menschen immer weniger geneigt sind, sich bei der Arbeit körperlich anzustrengen oder gar die Finger schmutzig zu machen.

Viel wesentlicher ist allerdings der Faktor, dass Arbeitskräfte „scheintoter“ Branchen durch „Intensivbehandlung“ mit staatlichen Subventionen künstlich am Leben gehalten werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, den befürchteten Arbeitsplatzverlust von angeblich 300.000 Mitarbeitern der Automobilindustrie mittels Subventionierung von Verbrennern bzw. Hybriden (wie zur Zeit noch praktiziert) aufzuhalten, während fast ebensoviele Facharbeiter in der Solar- und Windkraftbranche, der Modul-, Batterie- und E-Motorenfertigung fehlen, um den richtigen „Wumms“ auszulösen, anstatt nicht vorhandene Steuergelder mit der Gießkanne zu verteilen und dabei fossile Strukturen zu erhalten. Ist Umschulung bzw. die sonst vielbeschworene Weiterbildung hier keine Option, Arbeitnehmer einer sinnhaften Beschäftigung zuzuführen und ggf. sogar neue Geschäftsmodelle bei den Automobil-Herstellern und -Zulieferern zu begründen?

Ein anderer Grund für den Fachkräftemangel ist fehlende Flexibilität. Das gilt sowohl hinsichtlich eines gleitenden Rentenalters (natürlich freiwillig), als auch einer bestmöglichen Anwendung der in unseren modernen Gesellschaften sowieso praktizierten Arbeitsteilung. So wie die medizinische Arbeit eines Krankenhausarztes nicht zur Hälfte mit berufsfremden Dokumentationsaufgaben oder die pflegenden Fachkräfte nicht mit organisatorischen und einfachen Ver-/Entsorgungsaufgaben in ihrer Kernkompetenz und -aufgabe behindert werden sollten, wäre auch eine viel arbeitsteiligere Aufstellung der EE-Anbieter erforderlich.

Warum muss eine PV-Firma komplette Anlagen liefern, obgleich eigentlich mehrere Gewerke tangiert werden und höchst unterschiedliche Kompetenzen gefragt sind? Die Module (samt Unterkonstruktion bzw. Aufständerung sowie Verdrahtung der Strings nach Plan mittels standardisierter Steckverbinder) bringt am besten der Dachdecker in Position. Oder ein in zwei Tagen (um)geschulter Fließbandarbeiter bzw. ein motivierter Arbeitsloser. Fachkräfte braucht man dann allenfalls unter besonders schwierigen Bedingungen vor Ort und zur Schulung ungelernter Kräfte. Das gilt auch für die Montage eines Wechselrichters und die Aufstellung der Batterie. Erst dann kommt irgendein ausgebildeter Elektriker zum Zuge, der die Anlage nach Schaltplan verdrahtet und ans Netz bringt („in Betrieb nimmt“).

So ließen sich viele Beispiele aufzeigen, wo zupackende Hilfskräfte die wenigen Fachkräfte so weit unterstützen, dass diese viel mehr Durchsatz realisieren können. Schließlich ist die Installation einer PV-Anlage keine bemannte Marsmission. Also, warum ergreifen wir nicht die Chance, unsere kostbaren Fachkräfte bestmöglich zu entlasten, um kurzfristig die notwendigen Kapazitäten bereitzustellen? Das Warten auf genügend Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, die gleichwohl explizite Schulungen für diese Aufgaben nicht obsolet macht, ist jedenfalls keine Option.


2. Förderprogramm für eine „grüne“ Industrie


Wenn man zwei Kerneigenschaften der Ampel-Regierung nennen sollte, wären Steuergeldverschwendung und unterwürfige Energieakquise im Ausland höchst geeignete Kandidaten. Ersteres offenbart sich bereits in der schon diskutierten undifferenzierten, unfairen und kontraproduktiven Auflage von Doppel-Wumms und Energiepreisbremsen, begleitet von zahlreichen Einzelfördermaßnahmen, die meist ausschließlich Lobby-Interessen befriedigen, ohne die Energiewende maßgeblich voranzubringen.

Neuester Wumms von Wirtschafts- und Energieminister Habeck: Förderprogramm für die Industrie, auf EE und explizit vor allem auf Wasserstoff umzustellen. Dabei gleiche der Staat die „Differenzkosten“ aus – ein Fass ohne Boden und eine Aufforderung an die Industrie, wieder einmal nicht (auch nicht im Eigeninteresse später erhöhter Wettbewerbsfähigkeit) mit der Transformation „in die Puschen“ zu kommen, sondern nur schuldenfinanzierte Steuergelder abzugreifen und ihre Stakeholder bei Laune zu halten.

Gleichzeitig betreibt Habeck weiter die große Gas- und Wasserstoff-Einkaufstour in der Welt und knüpft sogenannte „Energiepartnerschaften“ mit autokratischen Staaten wie Katar oder zur Zeit mit Namibia und Südaftrika, die H2 für Deutschland produzieren sollen und damit neue Abhängigkeiten für Deutschland und die EU schaffen. Dabei wäre für diese durchaus sonnen- und/oder windreiche Staaten erst einmal angesagt, sich selbst vollständig mit regenerativer Energie zu versorgen, anstatt diese für H2 mit geringem Wirkungsgrad (gesteigert durch LNG-Erzeugung und Transport) zu verschwenden und – wie Südafrika – weiterhin reichlich Kohle zu verstromen.

Das gilt letztlich auch für uns selbst. Warum wird „das Pferd von hinten aufgezäumt“, also die schwierigste Aufgabe mit dem geringsten Wirkungsgrad, (Prozess-)Wasserstoff für die Industrie in ausreichendem Maße verfügbar zu machen, vorangestellt? Die naheliegenden und meist kostenlosen Maßnahmen, durch Deregulierung und Entbürokratisierung die EE auch ohne explizite Förderung zu entfesseln sowie durch sektorenübergreifende Elektrifizierung und drastische Effizienzmaßnahmen diese bestmöglich zu nutzen, bleibt weiterhin auf der Strecke.

So, das war – fast – mein Abschluss-Statement zum Ende des Jahres – meinerseits immer praxisorientiert, also wo es am Machen und nicht an Zielen mangelt. Als Licht am ‚Horizont des Machens‘ klagt z.B. die Deutsche Umwelthilfe bereits gegen etliche politische Versäumnisse – was wir vorzüglich und unterstützenswert finden. Und bevor viele in den Urlaub rasen: es ist beschämend, dass der Verkehrssektor noch gar nichts zur CO2-Reduktion beigetragen hat. Sogar die überdimensioniert großen, extrem leistungsstarken und oft mit Kohlestrommix geladenen E-SUV liefern dazu ihren Beitrag und verschwenden Ressourcen durch ihre langstreckenorientierten Batteriekapazitäten, während die Elektrifizierung der Kompaktfahrzeuge mit angemessener Batteriekapazität hinterherhinkt.

Mit herzlichen Grüßen
Claus P. Baumeister